Earl Grey, koffeinfrei – Gedanken zur ersten Folge von Star Trek: Picard

Mit Star Trek: Picard ist Mitte Januar 2020 eine weitere Star Trek-Serie gestartet. Diese ist in doppelter Hinsicht eine Überraschung: Zum einen muss sich Discovery nun auch gegen eine parallel laufende Serie behaupten. Zum anderen knüpfen wir endlich auch wieder an TNG-Zeiten an. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht? Einige Gedanken und Notizen zur ersten Folge.

  • Die Zukunft ist düster: Es lässt sich darüber streiten, ob in unserer heutigen Zeit, inmitten der Postmoderne, eine Utopie überhaupt noch zeitgemäß ist. „Picard“ ist keine. Die Next Generation (TNG) von Star Trek, die noch eine war, erschien 1987 in einer Zeit des Aufbruchs. Der Kalte Krieg war gerade überwunden, ein Zeitalter des scheinbar großen Friedens begann und zugleich gab es unglaubliche Technikentwicklungen zu dieser Zeit. Auch die Raumfahrt machte mit dem Space-Shuttle-Programm und den Raumstationen im Erdorbit wieder gute Fortschritte. Die 1990-er-Jahre waren in der westlichen Welt rückblickend eine Zeit, in der es sich recht unbekümmert leben ließ, in der die Menschen vielleicht aber auch etwas naiv waren mit Blick auf die Entwicklungen, die im Untergrund und drumherum geschahen. Ein optimaler Nährboden für eine Utopie. Blicken wir aber heute, in einer Zeit, in der wir uns um Klima, Frieden und Vernunft zunehmend sorgen, noch zuversichtlich in die Zukunft? Auch der technische Fortschritt wird zunehmend begleitet von Fragezeichen. Irgendwie, so scheint mir, könnten wir gerade jetzt so eine naive Zukunftsvision wie seinerzeit TNG gut gebrauchen. Doch wahrscheinlich würden wir es den Autoren andererseits aber auch nicht abkaufen. Die Entscheidung, die neuen Science-Fiction-Serien durch die Bank in Dystopien spielen zu lassen, erscheint also naheliegend. Was sich nach dieser ersten Folge noch nicht beantworten lässt, ist die Frage, ob Picard das Potenzial hat, wie ein Eisbrecher diese düstere Welt aufzubrechen. Ob wir also – anders als in Discovery – hier nicht etwas sehen, was uns immer tiefer in die Resignation hineinreißt, sondern Mut macht, weil uns die Autoren einen Weg aufzeigen, doch an eine gute Zukunft zu glauben.
  • Hoffnungsschimmer: Ginge es nur um Jean-Luc Picard, drohte „Picard“ eine Serie darüber zu werden, wie das Gute vergeht. Rückblickend wird einem klar, dass die Next Generation am Ende vor allem daran krankte, dass es unvorstellbar schien, dass Picard an eine weitere Generation weitergibt. Man denke nur an die ewige „Nummer 1“, seinen Stellvertreter Will Riker. Aber diese erste Folge der neuen Serie zeigt keinen Picard, der darauf wartet, zu sterben, sondern eher einen, der zunächst ratlos scheint, wie er sein Vermächtnis an die nächste Generation weitergibt, wie er den guten Geist bewahrt, den er geprägt hat. Mit Dahj tritt so ein Hoffnungsschimmer in sein Leben. Wie eine Art Großvater-Figur beginnt er, sich um die junge Frau zu kümmern. Doch das ist von kurzer Dauer. Picards Tun bekommt nun wieder einen neuen Sinn:; Er will aufklären, warum sie angegriffen und scheinbar getötet wurde.
  • Was Picard ausmachte: Jean-Luc Picard ist das Idol einer Generation und eigentlich ein Anti-Held. Er liest Bücher, liebt Skakespeare, ist ein ziemlicher Langweiler, löst Konflikte nicht mit der Faust, sondern mit Diplomatie und nimmt sich selbst gerne zurück, weil er im Team arbeitet. Aber dieser in den 1980-er-Jahren skurile Protagonist war genau das, was eine Generation Heranwachsender brauchte. Wir wollten mit dem Rambo brechen, der sich per Maschinengewehr den Weg durch den Dschungel kämpfte. Die nächste Generation war nicht nur in Star Trek die darauffolgende Generation, sondern Picard wurde Inbegriff eines neuen Selbstverständnisses, das die 1990-er-Jahre prägte und leider mit der Rückkehr der Falken im Zeitalter des Terrorismus Risse bekam. Es ist nicht nur eine Frage der Erschöpfung der Serie, dass Picard und seine Crew mit ihren Filmen in den 2000-ern scheiterten. Die Zuschauer und Fans hatten ein wenig den Glauben an diesen Picard verloren, an seine Art, die Dinge anzupacken.
  • Alte Ideale: Wir haben alle noch eine Rechnung offen mit diesem Jean-Luc Picard. Sein unwürdiger Abschied und der von der TNG-Besatzung im letzten TNG-Kinofilm war so miserabel, dass wir dieses Kapitel am liebsten einfach vergessen wollten. TNG endete für mich mit All Good Things, dem finalen Zweiteiler der grandiosen Serie und einen kurzem, aber doch gutem Leinwand-Gastspiel in Generations. Die traurige Entwicklung danach wird nun aufgehoben durch die Reaktivierung von Picard. Und diese erste Folge zeigt Lichtblicke, wenn Picard etwa auf die Frage, warum er ausgerechnet „romulanische Leben“ retten musste, antwortet: Es waren Leben. Picard war schon immer das Korrektiv einer Sternenflotte, die an sich selbst zweifelte und innerlich verfiel. Aber der Zukunfts-Picard lebt in einer noch viel düstereren Zeit, in der die Sternenflotte ihren einstigen Helden gefressen und ausgemustert hat. Seine Berentung auf dem einsamen Weingut seiner Familie ist seiner völlig unangemessen, zumal er bekanntlich nach dem Feuertod seines Bruders und seines Neffen beschlossen hatte, dass sein Leben der Sternenflotte gehört. Die neue Serie soll von seinem Weg handeln und diese erste Folge macht sehr viel Geschmack darauf, wie und ob es ihm gelingen wird, zu alter Größe zurückzukehren.
  • Die Borg und die KI: Das Rahmen-Thema dieser neuen Serie ist in dieser ersten Folge klar umrissen. Es geht um die Künstliche Intelligenz – sei es in Gestalt von Datas Tochter, den Synthetischen, die die Föderation auf dem Mars angreifen, oder durch die Borg, von denen wir hier erstmal nur einen Borgkubus sehen, der von den Romulanern besetzt wurde. Eine deutliche Verbindung wird auch zur TNG-Folge „Wem gehört Data?“ aufgezeigt, in der Bruce Maddox, der hier erwähnt wird, Data seinen eigenen Willen abspricht. Diese Themenauswahl erscheint mir klug, denn zum einen war die besagte Folge schon damals eine der erfolgreichsten der Serie. Die Borg sind ohnehin populär, wurden zwar durch die Ableger-Serie Voyager ziemlich verbraucht, bieten aber durchaus noch Potenzial, wenn es um das KI-Thema geht. Und zum anderen ist KI heute noch mehr ein Thema als in den 1990-ern.
  • Neue Gesichter: Es gibt in dieser ersten Folge allerhand neue Gesichter. So richtig einzuordnen ist noch nicht, wen wir davon wiedersehen und wen nicht, wer eine große Rolle spielt und wer nur mal kurz erschienen ist. Wer hätte etwa gedacht, dass die junge Dahj nur so ein kurzes Gastspiel genießt. Aber am Ende erscheint ja immerhin ihre Zwillingsschwester.
  • Und wen wir noch nicht sahen: Es ist eine gute Entscheidung gewesen, nicht gleich den ganzen Cast in dieser ersten Folge einzuführen. Es hätte uns hoffnungslos überfordert und unnütz Bildschirmzeit gekostet. Es war vor allem ein Problem früherer Pilotfolgen, dass alle ihren Auftritt haben mussten. So lernen wir also in den nächsten Folgen noch viele Leute neu kennen und sehen alte Gesichter wieder, wie uns der Trailer verriet. Wir warten unter anderem noch auf Seven Of Nine und Will Riker.
  • Picard ist der Alte: Wir sind gealtert, Patrick Stewart ist gealtert – und Picard ist gealtert. Die Autoren haben dem Umstand, dass der Darsteller nun wahrlich nicht mehr als Picard aus Serienzeiten nahtlos anknüpfen kann, Rechnung getragen. Die Serie weiter in die Zukunft zu versetzen und die Post-Sternenflotten-Zeit Picards zu zeigen, erscheint stimmig. Im Vorfeld der Veröffentlichung stellte sich mir die Frage, inwieweit Picard in seiner Serie tatsächlich präsent sein wird. Oder ob er eher über dem Geschehen steht, das laut Cast sonst mit vielen jungen Darstellern besetzt ist. Aber nein, diese Pilotfolge gehört eindeutig Picard. Ein wenig wirkt es fast so, als wenn Patrick Stewart Picard sogar noch etwas älter aussehen lässt. Aber es gibt sie noch: Die Momente, in denen Picard zu uns in der bekannt festen Stimme spricht. Picard ist hier nicht nur älter, er ist glücklicherweise immer noch der Alte.
  • HD-Zeitalter: Nicht vergessen sollte man beim Verarbeiten des kleinen Schocks, dass Stewart und Data-Darsteller Brent Spiner nach der langen TNG-Pause gealtert sind, dass natürlich auch die technische Brillianz des heutigen Fernsehens das eine oder andere Fältchen herausarbeitet, das es sicher schon zu Serienzeiten gegeben hat, uns aber – auch trotz HD-Blu-ray-Neuauflage- verborgen blieb.
  • Die Musik: Die Titelmusik lässt mich ratlos zurück. Schon das Intro von Discovery finde ich gewöhnungsbedürftig. Das von „Picard“ schlägt das noch einmal bei weitem. Nun haben sich alle Serien nach TNG irgendwie damit schwer getan, eine Brücke zwischen der klassischen Star Trek-Melodie und etwas Eigenem zu schlagen. Mal gelang das besser, mal schlechter. Die Musik in der Folge kommt dagegen klassischer daher, erinnert mit den Flötentönen sehr an das Picard-Thema der Serie. Man darf gespannt sein, welchen weiteren Verlauf das nimmt.
  • Viele Effekte: Mit den Effekten verbinde ich die Frage, ob man sie in Star Trek-Serien heute deshalb so zahlreich verwendet, weil es dem Zeitgeist und zeitgemäßen Serien entspricht. Oder ob seinerzeit die Macher von TNG auch schon so viele Effekte verwendet hätten, wäre es nicht irre teuer und teilweise gar nicht machbar gewesen. Für mich ist der intensive Gebrauch ein zweischneidiges Schwert: Natürlich sieht man gerne, was heute möglich ist. Geradezu grandios ist die Enterprise-D mit dem Pokerspiel und der Zoom-In-Szene. In Verbindung mit Kämpfen erscheint mir die Zukunft aber viel zu unruhig. Mit dem TNG-Universum konnte man sich eher anfreunden. Die Bildsprache in „Picard“ ist so hektisch, dass man gar nicht so schnell eine Beziehung zu dieser Welt aufbauen kann, wie seinerzeit zu den statischen Matte-Paintings der alten Serie. Der absolute Ruhepol und gigantische Kontrast ist dazu das Chateau Picard.
  • Viele Zusammenhänge: Man kann den Autoren der neueren Star Trek-Serien vieles vorwerfen, aber keine Unkenntnis über frühere Serien und Filme. Wenn sie damit brechen, dann dürfen wir unterstellen, dass es wissend geschieht. Das war früher zu TNG-Zeiten anders. Einige eingekaufte Geschichten von externen Autoren konnten gar nicht um das wissen, was das Kern-Autoren-Team erdacht hat. So kam es immer wieder zu Ungereimtheiten. Die gibt es heute natürlich auch, aber eher dadurch, dass sich heutige Autoren in einem engen Korsett früherer Festlegungen bewegen. .
  • Deutsche Synchronstimmen: Ein Lob auf Amazon und die Entscheidung, die Original-Synchronstimmen zu verpflichten. So viel Liebe zum Detail hätten wir uns früher vom ZDF gewünscht.
  • Spannungsbogen: Die Erzählweise von dieser ersten Folge entspricht in nichts dem, was wir aus TNG-Zeiten kennen. Der große, episodenübergreifende Plot steht im Vordergrund, nicht die in sich geschlossene Folge. Vor diesem Hintergrund verbietet sich gegenwärtig auch noch ein Zwischenfazit zur Handlung. Man muss die Staffeln bei heutigen Serien mittlerweile als Mega-Folge ansehen, die sich fast nur in Gänze rezensieren lassen.
  • Journalisten in der Zukunft: In der TNG-Serie schien ja vieles passé, unter anderem auch die Medien. Dann kamen die Journalisten plötzlich im ersten TNG-Film ins Spiel, allerdings in der Kirk-Vergangenheit. Und nun sehen wir Picard in einem Fernsehinterview für FNN. Ich bin hin- und hergerissen, was ich davon halten soll. Irgendwie ist es eine nötige Korrektur einer merkwürdigen Entscheidung zu TNG-Zeiten, wo Unterhaltung nur aus klassischer Musik und Schachspielen bestand. Andererseits ist es eben gerade in solchen Szenen eine sich völlig von der TNG-Serie unterscheidende Welt.
  • Picards Entwicklung: Dieser Picard, den wir hier in dieser ersten Folge sehen, entspricht wieder mehr dem Original der Serie. Die Kinofilme zeichneten zuletzt eher einen Haudrauf.
  • Picard spricht französisch: Nun musste der gute alte Captain erst über 80 werden, damit er endlich mal in seiner Heimatsprache spricht. Zumindest für einen Moment. Und auch nur mit seinem Hund, der englisch „Number One“ heißt.
  • Wenig Raumschiffe: Es hat noch nie in der Geschichte Star Treks eine Pilotfolge gegeben, in der so wenig im Raumschiff geflogen wird. Selbst Deep Space Nine – immerhin eine stationär verortete Serie – war da mehr im Weltraum und mit Raumschiffen unterwegs. Dafür sehen wir in „Picard“ so viele Außenszenen wie noch nie. Und auch der Vorspann zeigt uns nicht etwa die Enterprise oder etwas Weltraum-artiges, sondern die Weinberge.
  • Earl Grey – ohne Koffein! Die ikonische Getränkeauswahl hat sich nicht geändert. Nur zu aufregend darf es für den früheren Captain offenbar nicht mehr sein. Am Ende doch ein Fingerzeig für den weiteren Verlauf der Serie?

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