Gigaset GS290 im Test: Der Lückenfüller

Das Gigaset GS290 bedient Nutzerbedürfnisse, die andere Hersteller vernachlässigen oder nicht so wichtig finden. Genügt das, um ein gutes Smartphone zu sein?

Was, wenn AEG Olympia seinerzeit den Trend zum PC nicht verschlafen und frühzeitiger eine Antwort gesucht hätte? Wie hätten die Schreibmaschinenbauer ihr jahrzehntelanges Know-How wohl genutzt, um die Entwicklung des Computers zu beeinflussen? Die Antwort werden wir nie erfahren. Aber mit Blick auf die einstige Siemens-Tochter Gigaset drängt sich das Gedankenspiel auf. GIgasets Spezialität, das Bauen von schnurlosen DECT-Festnetztelefonen ist bis heute das Kerngeschäft. Aber man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass es nicht einfacher wird. Festnetztelefonie steht bei jungen Leute heute nicht mehr hoch im Kurs. Hinzu kommt, dass IP-Telefonie und Festnetz immer mehr verschmelzen. Mit einigen Routern lässt sich heute schon per Smartphone über das Festnetz telefonieren.

Weise Entscheidungen

Es war folglich sehr schlau, vor einigen Jahren auf den bereits fahrenden Smartphone-Zug aufzuspringen. Und Köpfchen bewies Gigaset auch in der Definition seiner Zielgruppen: So wurde nicht etwa aussichtslos der Anschluss zu den Top-Smartphones gesucht, sondern von Anfang an in Einsteiger- und Mittelklasse-Geräte investiert. Denn in diesem Markt sind die Kräfteverhältnisse andere. Hier erkannte Gigaset seine Marktlücke.  Und mit seiner “Made in Germany”-Initiative, die Geräte in Nordrhein-Westfalen endmontieren zu lassen, traf Gigaset ebenfalls einen Nerv.

Nachhaltig im Recycling-Karton

Das neue GS290 ist ebenfalls so ein Deutschland-Smartphone. Und nachhaltig verpackt ist es auch: Ein für Recycling-Papier ziemlich schick gestalteter Karton erwartet den Käufer. Auch innen wird weitgehend auf Plastik verzichtet. Umso eleganter dann das eigentliche Smartphone, das darin liegt, in unserem Falle mit einem weißen Kunststoff-Rücken, der metallähnlich aussieht und sich auch so anfühlt. Dazu eine Doppellinsenkamera auf der Rückseite und ein nahezu nahtloses Display auf der Vorderseite. Alles richtig gemacht, möchte man den Bocholtern zurufen. Zumindest der erste Eindruck passt.

Wer Gigasets Smartphone-Sparte von Anfang an begleitet, entdeckt eine Lernkurve, aber auch einige Konstanten. Zu den Konstanten zählt, dass bei den Android-Smartphones von Anfang an auf Haptik und Aussehen gesetzt wurde. Zwar gab es auch einige Geräte, die mehr Plastik verbaut hatten. Im Großen und Ganzen konnten sich aber alle Gigaset-Smartphones sehen lassen. Ein Hauch von Galaxy-Reihe und iPhone umweht die Günstig-Geräte. Der Käufer outet sich damit nicht beim ersten Ansehen als “Sparfuchs”.

Die zweite Konstante ist, dass Gigaset Bedürfnisse erfüllt, die Nutzer bei den großen Marken vermissen. Es ist kein Zufall, dass die Liste der Eigenschaften sich so liest wie das Wer-ist-wer der Mecker-Spalten in sozialen Netzwerken. Waren es am Anfang die austauschbaren Akkus, die Gigaset mittlerweile aber auch schmäht, entdecken wir im GS290 einen 3,5mm-Klinkenstecker für Kopfhörer, den andere Hersteller zunehmend einsparen, ein pures Android-Betriebssystem ohne irgendwelche Zu- und Aufsätze oder den wunderbaren USB-C-Stecker zum Aufladen, wozu sich noch längst nicht alle durchringen konnten. Auch der extra leistungsstarke, damit aber auch etwas dickere Akku ist so ein Punkt oder das Beilegen einer Schutzhülle, womit der erste Zubehörkauf entfällt.

Ein Gerät für viele kleine Bedürfnisse

Die Lernkurve ist, dass Gigaset immer mehr von diesen Marktlücken füllt – und das gleichzeitig in einem Gerät. Denn so laut Bewegungen wie die für den Klinkenstecker anfangs auch sind. Nach einiger Zeit gewöhnen sich die Nutzer daran, wenn es etwas nicht mehr gibt, und die Zahl der tatsächlichen Käufer für den, der es doch liefert, wird geringer. Wer sich also als breit gestreuter “Lückenfüller” – im positiven Sinne – betätigt, hat hohe Chancen, möglichst viele Interessenten auf sich zu vereinen – so zumindest vermutlich das Kalkül.

Was das GS290 wiederum vermissen lässt, ist das, worin die Großen brillieren. Die Kamera etwa, die träge reagiert und in der Dunkelheit gar nicht zu gebrauchen ist. Aber auch der Prozessor, der die Flüssigkeit der Bildschirmanimationen etwas ausbremst, ansonsten aber in vielen Apps reibungslos gut funktioniert.

Kamera als Handicap

Gerade aber die durchschnittliche bis schlechte Kamera ist ein Punkt, der das Zeug zum Wermutstropfen bei diesem ansonsten beeindruckend guten Gerät ist. Das Smartphone als Kamera zu benutzen, ist nämlich heutzutage alles andere als exotisch. Ganz im Gegenteil ist die Taschen-Knipse, die immer dabei ist, für viele fast schon wichtiger geworden als die Kernfunktion eines Telefons, das Telefonieren. Schade, dass Gigaset hier keine passende Antwort parat hält.

Wem Fotos aber nicht so wichtig sind, dafür aber Eigenschaften wie ein langes Durchhaltevermögen des Akkus, ein hochauflösendes gutes Display, kabelloses Laden, die Erweiterbarkeit mit einer Speicherkarte oder alternativ das Verwenden zweier SIM-Karten – der findet im GS290 eine sehr preisgünstige Möglichkeit, in den Genuss davon zu kommen. Sogar als Powerbank kann das Smartphone dank seines 4700 Milliamperestunden-Akkus verwendet werden – was auch immer man damit laden möchte. Gigaset hat dem Gerät 2000 mAh mehr spendiert, als Apple seinerzeit dem iPhone X, an welches das Design des GS290 erinnert. Und der Ladestecker ist mit 18 Watt sehr kraftvoll – wer zum Beispiel mit Apples 5 Watt-Adaptern arbeitet, merkt recht schnell, wie lange so ein starker Akku sonst laden muss.

Fazit

Gigasets Smartphone-Sparte hat in kurzer Zeit eine beeindruckende Entwicklung genommen. Muss sie aber auch, denn aus Fernost rücken immer mehr Hersteller im günstigeren Segment vor.  So schön das Gefühl ist, Arbeitsplätze in Deutschland mit dem Kauf eines solchen Smartphones zu unterstützen, so sehr zählt im Alltag nachher das, was das Gerät zu leisten vermag. Gigaset muss sich hier nicht verstecken, hat aber bei Kamera und Prozessor noch Luft nach oben. Das GS290 liefert beeindruckend viel für seine 260 Euro.

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