Das waren bewegte Wochen: Apple hat auf seiner Weltentwicklerkonferenz WWDC iOS 6 und ein Retina-MacBook Pro vorgestellt. Google prescht auf der Google I/O mit Android 4.1 Jelly Bean und diversen anderen Neuheiten vor. Und Microsoft arbeitet an Surface, dem ersten eigenen Tablet. Ein Kommentar:
Für Luca Carracciolo von t3n ist der Fall klar: Apple fehle die Vision, schreibt er in einem Kommentar. Mit großem Interesse, aber auch Sorge beobachte er die Produktneuheiten der Wettbewerber. Apple, so sein Fazit, fehle ein Steve Jobs.
Tatsächlich ist dieser Tage eine Vergleichbarkeit zwischen den drei mächtigen IT-Konzernen Apple, Google und Microsoft gegeben. Binnen weniger Wochen hielten sie Entwicklerkonferenzen ab oder präsentierten der Weltöffentlichkeit neue Produkte. Ein Zufall ist das natürlich nicht: Die Konzerne haben erkannt, wie Apples Marketing funktioniert. Wer, wie Microsoft in der Vergangenheit, auf Messen wie der Consumer Electronics Show (CES) seine Neuheiten präsentiert, droht in der Menge der Neuigkeiten unterzugehen. Eigene Events und der passende Zeitpunkt spielen eine große Rolle. Apple und Microsoft fokussieren sich auf einzelne Produkte, Google überschwemmte die Nachrichtenseiten mit Schlagzeilen, um die Mitbewerber vergessen zu machen.
Aber haben die Wettbewerber Apples derzeit eine bessere Vorstellung, wie die Produkte von morgen aussehen?
Microsoft ist in punkto mobiles Betriebssystem sicherlich ernster zu nehmen als Android. Zum einen wird es zwischen Windows 8 und Windows Phone eine enge Verzahnung geben, was den Marktanteil durch die Dominanz im Desktop-Bereich bei den Apps trotz mancher Hindernisse deutlich nach oben befördern dürfte. Zum anderen hat Microsoft bei Windows Phone 7 von Anfang auf eine eigene Philosophie beim Design gesetzt, die sich jetzt als wirkliche Alternative zu iOS/Android auszahlen könnte.
Doch es gibt auch Hürden: Allen voran ist dies die Prozessor-Frage. Surface, das eigene Tablet Microsofts, wird es in zwei Versionen geben: Eine Version mit x86-Prozessor, eine mit ARM. Die unterschiedlichen Versionen von Windows 8 werden einen Keil in das App-Angebot, aber auch in den Hardware-Markt treiben. Das Experiment, mobile und stationäre Betriebssysteme zu vereinen, ist eigentlich angesichts solcher Vorzeichen jetzt schon gescheitert. Zum einen vermag Windows 8 als Desktop-Betriebssystem nicht zu überzeugen, weil Metro-Oberfläche und alter Desktop nebeneinander existieren, womit eben doch kein konsequenter Neuanfang gewählt wurde. Zum anderen ist es eben auch nicht gelungen, eine Brücke über die Prozessorenfrage zu schlagen und damit das selbst gesteckte Ziel zu erreichen.
Googles Vision ist dieser Tage offenbar der Konter. Das Nexus Q ist eine Antwort auf das Apple TV, das Nexus 7 soll Amazons Siegeszug mit dem Kindle Fire stoppen. Und Android 4.1 Jelly Bean enthält zwar manch interessante Neuerung (wie iOS 6 übrigens auch), schafft aber keinen nennenswerten Vorsprung gegenüber Apple – wenn überhaupt, zieht das System wieder ein Stück weit mit iOS gleich. Ursächlich dafür war aber eher Ice Cream Sandwich (Android 4.0), das Android zu einer neuen Optik und einer viel besseren Handhabung verhalf.
Ein Problem freilich bleibt: Die Fragmentierung. Scott Forstall, Apples iOS-Chefentwickler, rechnete jüngst vor, dass die aktuelle iOS-Version 80 Prozent der Nutzer erreicht, Android 4.0 dagegen nur sieben Prozent. Mangelndes Interesse ist dafür sicher nicht die Ursache, sondern mangelnde Bereitstellung durch die Gerätehersteller. Das gleiche Problem wird auch Jelly Bean ereilen und damit hängt Googles System weiterhin in einer Spirale der Abwärtskompatibilität fest. Appentwickler können sich neue Funktionen der SDKs nicht sorgenfrei zunutze machen, weil sie fürchten müssen, große Nutzerkreise auszuschließen.
Apple hat solche Sorgen nicht: iOS 6 wird – wie gewohnt – große Teile der Nutzerschaft erreichen. Der Schwerpunkt der Weiterentwicklung beruht – unschwer zu erkennen – derzeit auf drei Säulen: iCloud, Siri und Retina. Die iCloud erweist sich immer mehr als goldene Brücke zwischen Desktop- und mobiler Welt. Fotostream, Notizen, Mail und aktuell die Synchronisation aufgerufener Seiten im Safari-Browser sind sinnvolle Anwendungen der Datenwolke, da sie dem Benutzer, der immer mehr Geräte parallel benutzt, lästiges Neueintippen oder manuelles Übertragen ersparen. Und weil die Apple-Welt so homogen ist, muss sich Apple nicht mit Problemen herumschlagen, wie sie Google und Microsoft vorfinden. Siri, die zweite Säule, wird weiter an Bedeutung gewinnen, wobei hier die Fortschritte bei Apple ziemlich langsam sind und die Konkurrenz längst aufholt. Retina schließlich ist derzeit ein Alleinstellungsmerkmal.
Zugegeben: Neue Visionen sind das nicht. Aber es ist eben auch keine Visionslosigkeit. Vielmehr sind die Entwicklungen vom übergeordneten Ziel getragen, durch ein höheres Maß an Synchronisation und Komfort die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen. In einem Markt starker Mitbewerber sind es gerade die Feinheiten, die bei der Wahl eines mobilen Betriebssystems ausschlaggebend sein können.
Dass Apple nicht an vagen Entwicklungsspielereien wie Google Glass versucht, wie Carracciolo es kritisiert, ist übrigens keine neue Entwicklung: Unter Steve Jobs war der Zwang, perfekte Produkte abzuliefern, sogar noch größer. Eine Siri-Betaversion, die schon so lange unvollkommen ist, hätte es mit ihm vermutlich nicht gegeben. Apple ist schon viel wagemutiger geworden, sich entwickelnde Produkte auf den Markt zu werfen. Rückschläge, wie bei MobileMe, nahm Jobs sehr persönlich. Google hat damit hingegen kein Probleme, wenn man mal die Liste betrachtet, welche Projekte in der Vergangenheit bereits eingestampft wurden.