Ein Gespenst geht es um: Es ist – natürlich – digital. Und es wird uns unsere Arbeitsplätze wegnehmen. Vorher wird es uns mit dem süßen Gift der Arbeitserleichterung dazu verleiten, ihm immer mehr Futter, immer mehr Spielraum in unseren Leben zu geben. Und wenn wir ihm im Wege stehen, wird es sich irgendwann gegen uns richten. Die Rede ist von Künstlicher Intelligenz, kurz KI.
Wer es noch nicht gemerkt hat: Ich überspitze.
ChatGPT, Midjourney, Bard – und wie sie alle heißen – sind zweifellos faszinierend. Ich fand schon Stack Overflow ein mächtiges Nachschlagewerk, das Hobbyprogrammierer dazu befähigte, schnell faszinierende Software zu schreiben. Es hat nicht zu Massenarbeitslosigkeit geführt, aber durchaus den Wert der großen Talente etwas geschmälert. Man musste nun nicht mehr „alles“ wissen, um schnell voranzukommen. Wer dazu vorher in der Lage war, war dem Laien himmelhoch überlegen. Das Netz und Stack Overflow haben – nomen est omen – vielleicht eher dazu geführt, dass der Begriff Entwickler heute inflationär verwendet wird. So wie Journalist. Jeder, der was im Internet publizieren kann, kann sich heute Journalist nennen. Früher gab es zumindest noch die Hürde, für die Verbreitung des Machwerks einen Aufwand auf sich zu nehmen. Dieser Aufwand ist bei journalistischen Werken, ebenso wie bei Apps, stark gesunken.
Mit ChatGPT kann ich all die langweiligen Parts der Programmierung im Schnelldurchlauf erledigen. Keine (oder kaum noch) Fallklippen, über denen ich stundenlang grübeln muss. Endlich ist das Entwickeln so, wie man es sich eigentlich ausmalt: Eine gute Idee haben, etwas coden, hier und da mal was ausprobieren und ändern – fertig.
Ähnlich generative Bild-KIs: Mich haben immer die mächtigen Illustrationsprogramme fasziniert. Allein: Hinbekommen habe ich damit fast nichts. Oder zumindest nicht das, was ich gerne gemacht hätte. Bild-KIs sind wie die digitale Fotografie. Als wir früher nur 24 Bilder auf einem Kleinbildfilm hatten, den wir in eine Drogerie bringen und eine Woche drauf warten mussten, die Ergebnisse zu sehen, war Fotografie auch recht ernüchternd. Die Digitalfotografie ermöglichte es uns, die Bilder „instant“ zu sehen. Wir konnten sie löschen, Speicherplatz war en masse da. Und heute sind die Automatiken von Kameras so großartig, dass die Bildidee im Vordergrund steht, nicht mehr so sehr die Frage der technischen Umsetzung.
Wenn ich allerdings ChatGPT damit beauftrage, Texte zu schreiben, sehe ich zweierlei. Ja, natürlich ist es beeindruckend, dass eine Software auf Basis komplexer Wahrscheinlichkeiten sehr gut lesbare Texte erschaffen kann. Dass diese Software natürliche Sprache versteht und uns unsinnige Anschreiben abnehmen kann.
Aber Machwerke, die mich begeistern, inspirieren, habe ich aus der Text-KI noch nicht herausfallen sehen. Der Output ist bestenfalls zweckmäßig, gutes Mittelmaß – und in der Regel daran zu erkennen, dass die Texte auffällig unauffällig sind.
Was besagt es über uns Menschen, dass wir dennoch aufgrund dieser Ergebnisse so vor der KI erzittern? Ist es der Hype, der die Fantasie beflügelt? Oder sind wir möglicherweise erschüttert, weil wir schleichend angefangen haben, uns mit Mittelmaß zu begnügen, berechenbar zu sein. So berechenbar, dass uns ein Computer mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln imitieren kann. Die Fantasie, dass uns die KI auffressen wird, ist vielleicht das letzte Zeugnis davon, dass unsere Vorstellungen blühender sind, als der GPT-Spiegel, der uns gerade vorgehalten wird.
Hören wir doch mal auf, KI als Bedrohung zu sehen, sondern eher als Herausforderung der Menschheit zu begreifen – als Challenge: Unsere Berechenbarkeit ist vielleicht Ausdruck davon, dass wir uns gesellschaftlich im Kreis drehen. Und bevor eine KI die erste Waffe auf uns richtet, ist zu befürchten, dass der Mensch sich schon längst selbst vernichtet hat. Künstliche Intelligenz lässt uns vielleicht gerade deshalb erzittern, weil wir gesehen haben, wo uns die Natürliche Intelligenz hingeführt hat.